ver.di-Online-Handlungshilfe
zur Gefährdungsbeurteilung

6. Prozess-Schritt: Vereinbarung mit dem Arbeitgeber

Die Vereinbarung mit dem Arbeitgeber kann, muss aber keine Betriebsvereinbarung sein: Eventuell soll zunächst ein erster Durchlauf des Prozesses der beteiligungsorientierten Gefährdungsbeurteilung erfolgen, um die dabei gemachten Erfahrungen in eine BV einfließen zu lassen.

Welche Art von Vereinbarung getroffen wird, hängt stark von der jeweiligen betrieblichen Situation ab, insbesondere:

  • Welche bisherigen Erfahrungen mit Gefährdungsbeurteilungen bestehen
  • Welche Betriebsvereinbarungen bereits vorhanden sind
  • Wie die Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber ist

Aufgrund der zurückliegenden Prozess-Schritte (Entwicklung einer eigenen Strategie - Interaktion mit den Beschäftigten - Modifizierung der BR-Strategie und klare Zielsetzung) liegt als Verhandlungsgrundlage ein (je nach Form der Zusammenarbeit:) Aktions- bzw. Forderungskatalog vor. Dieser enthält grundlegende Absprachen bezüglich der Gefährdungsbeurteilung und den Prozess ihrer Umsetzung. Es sollte u. a. festgelegt werden:

  • Bildung einer paritätischen Steuerungsgruppe (siehe dazu Schritt 7)
  • Welche weiteren Akteure den Prozess der Gefährdungsbeurteilung tragen, insbesondere: Welche Formen der Beteiligung der Beschäftigten beabsichtigt sind
  • Wie damit umgegangen wird, wenn sich bei einer Gefährdungsbeurteilung zeigt, dass es mehrere Tätigkeitsbereiche mit hohen Fehlbeanspruchungen gibt: Sollen in all diesen Bereichen direkt und damit gleichzeitig Arbeitsschutz-Maßnahmen durchgeführt werden oder geht man Bereich für Bereich bei den Maßnahmen vor?
    Solche Prioritätensetzung im Sinne von Pilotbereichen kommt in der Praxis häufig vor - doch bei aller Praktikabilität ist zu bedenken, dass es keine gesetzliche Grundlage für so ein "Aufschieben" von Maßnahmen in Tätigkeitsbereichen gibt, die "erst später drankommen". Umso wichtiger ist es bei Pilotierungen eindeutige Festlegungen zu treffen: Eindeutige Kriterien dafür, warum Bereiche zeitlich vor anderen Bereichen Arbeitsschutz-Maßnahmen durchführen. Außerdem macht es Sinn, sich unmissverständlich über die Zeitdauer des gesamten Durchlaufs zu einigen - damit die "später liegenden" Pilotbereiche nicht erst Jahre nach der Feststellung von Gefährdungen zu Arbeitsschutz-Maßnahmen gelangen. Deshalb deutlich:
  • Wie es zur (eventuellen) Auswahl von Pilotbereichen kommt (Auswahlkriterien)
  • In welcher Reihenfolge in (eventuellen) Pilotbereichen Arbeitsschutz-Maßnahmen durchgeführt werden, auch in welchem zeitlichen Rahmen (Gesamtdauer der Umsetzung)
  • Welche Auslöskriterien es für Arbeitsschutz-Maßnahmen geben soll:
    Bei hohen Gefährdungen muss sofort reagiert werden, im 'klassischen' Arbeitsschutz immer dann, wenn Unfallgefahren bestehen. Insbesondere bezüglich psychischer Fehlbeanspruchungen macht ein vorab, also vor Vorliegen von Ergebnissen, entwickelter Kriterienkatalog Sinn. Auslösekriterium sollte nicht der Krankenstand oder der Anteil von Langzeiterkrankten sein: Arbeits- und Gesundheitsschutz ist per se präventiv.
    Bei einer Beschäftigtenbefragung mit dem DGB-Index Gute Arbeit als Analyseverfahren (siehe dazu besonders die Prozess-Schritte 9 und 13) ist die Festlegung von Auslösekriterien deutlich erleichtert. Das zentrale Kriterium kann hierbei der jeweilige Indexwert sein: Arbeitsschutz-Maßnahmen direkt angehen bei einem Indexwert unterhalb von X.
  • Welche Kriterien es geben soll, an denen sich zeigt, dass Arbeitsschutz-Maßnahmen wirksam waren.
  • In welcher Form die Dokumentation des Prozesses der Gefährdungsbeurteilung erfolgen soll. Insbesondere ist darauf zu achten, dass jene Auskünfte und Lösungsvorschläge der Beschäftigten dokumentiert werden, die nicht in Form von (Ergebnissen von) Fragebogen-Befragungen sind. Zu denken ist hier beispielsweise an Fotos von gepunkteten Wandzeitungen, von Flipcharts und Moderationswänden von Workshops u. ä. Zugleich geht es hierbei um die Frage, was als Dokumentation und damit als Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung (vom Arbeitgeber) anerkannt ist.
  • Wann eine Wiederholung der Gefährdungsbeurteilung erfolgen soll:
    1) Was als Turnus (regelmäßige Durchführung alle x Jahre) festgelegt wird
    2) Bei maßgeblicher Änderung der Tätigkeiten. Hier ist festzulegen: Was ist maßgeblich?
    3) Definitiv nach Unfällen und Beinahe-Unfällen

Eventuell kommt es zu solchen Festlegungen mit dem Arbeitgeber erst nach Aufnahme der Arbeit der Steuerungsgruppe. Für den Betriebsrat ist es jedoch auch in diesem Fall wichtig, eine eigene, klare Vorstellung als Grundlage für Verhandlungen zu haben (was umso mehr in jenen Fällen nutzt, in denen der Arbeitgeber die Bildung einer Steuerungsgruppe ablehnt).

Entsprechende Festlegungen sind auch dann nützlich, wenn beabsichtigt ist, erst nach einem ersten Durchlauf eine Betriebsvereinbarung abzuschließen. Vorab-Absprachen minimieren Klärungsaufwände im laufenden Prozess. Und: Selbst wenn man bezüglich einzelner Punkte aufgrund mangelnder Erfahrungen noch keine Ideen für passende Regelungsinhalte hat, weiß man, worauf im laufenden Prozess besonders geachtet werden muss - um später die noch offenen Punkte zielgerichtet klären zu können.

Vorsicht!

Auch wenn die Möglichkeit besteht, in den ersten Durchlauf auf der Basis von Regelungsabsprachen zu gehen, um vor Abschluss einer Betriebsvereinbarung Erfahrungen zu sammeln, braucht es Eindeutigkeit darüber, was zur Gefährdungsbeurteilung gehört: Auf keinen Fall sollten Maßnahmen außerhalb der Gefährdungsbeurteilung angestoßen werden! Alle Maßnahmen, die im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden (sollen), liegen rechtlich im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung. Völlig anders sieht es aus, wenn Maßnahmen eingefordert werden, die sich aus anderen Zusammenhängen wie z. B. Mitarbeiterbefragungen oder Einzelgesprächen außerhalb des Prozesses der Gefährdungsbeurteilung ableiten: Selbst wenn diese (praktisch) dem Arbeitsschutz dienen, hängt es ohne die rechtliche Klammer der Gefährdungsbeurteilung im Konfliktfall von der alleinigen Entscheidung des Arbeitgebers ab, ob diese Maßnahmen durchgeführt werden (Siehe dazu Beispiel in Hauptsache Gesundheit, S. 113).

Die Festlegung von Kriterien vor Vorliegen von Ergebnissen (welche/wie viele Gefährdungen bestehen etc.) ist prozessual sehr sinnvoll. Es ist eine menschliche Eigenart, dass Vorschläge zu Herangehensweisen etc. in einem inneren Prozess von unausgesprochenen und damit nicht überprüfbaren Kriterien vorausgewählt werden ("Schere im Kopf"). Zeigen die Analysen viele Gefährdungen auf, ist es hochwahrscheinlich, dass manche als nicht so schädlich eingestuft werden und/oder Arbeitsschutz-Maßnahmen dagegen auf die lange Bank geschoben werden. Unausgesprochenes 'Kriterium' ist dabei tendenziell: Das können wir doch nicht alles schaffen... Vorab festgelegte Kriterien müssen nicht sklavisch eingehalten werden: Selbstverständlich ist es möglich, zu neuen Vereinbarungen zu gelangen, wenn die praktische Realisierbarkeit dies gebietet. Allerdings 1. als klar ablaufender Prozess im Rahmen der Mitbestimmung, 2. mit klar ausgesprochenen und damit überprüfbaren Kriterien, 3. ohne dass vorhandene hohe Gesundheitsgefahren aufgrund der mit Arbeitsschutz-Maßnahmen einhergehenden Aufwände klein geredet werden!

Ergebnisse:

Ein klarer, schriftlicher Auftrag durch den AG für den ersten bzw. neu strukturierten Durchlauf des Prozesses der Gefährdungsbeurteilung liegt vor und regelt:

  • grundlegende inhaltliche Absprachen bezüglich der Gefährdungsbeurteilung (siehe Aktions-/Forderungskatalog)
  • Verantwortlichkeiten
  • Zusammensetzung der paritätischen Steuerungsgruppe
  • Kompetenzen, Entscheidungsbefugnisse
  • (grobe) Zeitplanung
  • Vorgehenskonzept
  • Budget

Bei weiteren Durchläufen (neuen Gefährdungsbeurteilungen in der Zukunft) ist ein solcher Auftrag entsprechend zu modifizieren, allerdings sollte auch dann, wenn eine BV abgeschlossen wurde, eine Auftrags- und Aufgabenklärung unter den jeweils Handelnden im Prozess der Gefährdungsbeurteilung erfolgen.

 

Materialien zum Prozess-Schritt (Auswahl)

Ver.di Broschüre: Hauptsache Gesundheit: Tarif- und betriebspolitisches Drehbuch zum Arbeits- und Gesundheitsschutz (2010) Aktuelle Bestellmöglichkeit



Zurück zur Prozessübersicht