ver.di-Online-Handlungshilfe
zur Gefährdungsbeurteilung

9. Prozess-Schritt: Auswahl des Vorgehens und Verfahrens zur Grobanalyse

 

 

Die Analyse-Phase der Gefährdungsbeurteilung erfolgt in mehreren Schritten:

  • Zunächst müssen die unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche und Tätigkeiten erfasst werden, danach welche Belastungen bei den Tätigkeiten bestehen (so weit die Grobanalyse).
  • Anfolgend werden die in der Grobanalyse pro Tätigkeit gefundenen Belastungen selbst analysiert (Feinanalyse).
  • Sofern man über den gesamten Betrieb bereits ausreichend Bescheid weiß (alle Gefährdungen, alle Tätigkeiten...), braucht man keine Grobanalyse: Hier ist dann direkt in den Prozess-Schritt „Auswahl des Vorgehens und Verfahrens zur Feinanalyse“ (13) zu gehen. In allen anderen Fällen empfiehlt es sich, eine Grobanalyse über den gesamten Betrieb durchzuführen, um eine ausreichende Informationsbasis für die Arbeitsschutz-Situation zu haben. Nur so können im weiteren Prozess der Gefährdungsbeurteilung zur betrieblichen Situation passende Arbeitsschutz-Maßnahmen entwickelt werden!

Ziel der Grobanalyse ist also der Überblick über vorhandene Gefährdungen sowie deren Verteilung im Betrieb. Dabei werden auch Problem-Schwerpunkte deutlich: Ergebnisse von Grobanalysen sind deshalb auch geeignet, Pilotbereiche für einen ersten Prozess-Durchlauf festzulegen – sofern man sich grundsätzlich für eine Herangehensweise mit Piloten entschieden hat.

Die Grobanalyse (wie auch die später folgende Feinanalyse) hängt stark von der konkreten betrieblichen Situation ab, beispielsweise ob in zuvor durchgeführten Gefährdungsbeurteilungen bereits psychisch wirkende Belastungen erfasst wurden oder nicht und in wie weit physisch wirkende Gefährdungen vollständig erfasst sind. Allgemein passende Verfahren kann es von daher nicht geben. Relativ gut erprobt sind die „klassischen“ Mess-Methoden des Arbeitsschutzes (Messung z. B. von Lärm, Staub, Abmaßen etc.). Bezogen auf die psychisch wirksamen Belastungen ergibt sich nach DIN EN ISO 10075-3 eine Dreiteilung der Analyse-Verfahren:

  1. Orientierende Verfahren: Wenige Fragen mit meist nur 2 Antwortmöglichkeiten (ja-nein) zeigen Belastungsschwerpunkte auf.
  2. Screening-Verfahren messen detaillierter: Sie haben einen deutlich umfangreicheren Fragenkatalog UND ein differenzierte Antwortskala mit graduellen Antwortmöglichkeiten. Damit verlassen sie genaugenommen den Rahmen der Grobanalyse, da sie bereits Auskunft darüber geben, wie stark fehlbeanspruchend vorgefundene Gefährdungen sind (Feinanalyse). In der Praxis bereitet dies keine Schwierigkeiten, sofern man sich bewusst ist, auf welcher Analyseebene man sich befindet. Screening-Verfahren sind die am häufigsten eingesetzten Verfahren in der Praxis.
  3. Sog. Experten-Verfahren messen noch genauer. In Frage kommen hier beispielsweise (mehrtägige) Beobachtungsinterviews. Solche Verfahren gehören eindeutig in die Phase der Feinanalyse.

Das gewählte Verfahren hat ergo erheblichen Einfluss auf Menge und Art der Ergebnisse. In der betrieblichen Praxis haben sich außerdem große qualitative Unterschiede gezeigt, je nachdem, ob überwiegend interne oder externe ExpertInnen für die Analyse herangezogen wurden. Interne ExpertInnen, die Beschäftigten, können deutlich realitätsnaher Auskunft darüber geben, wo welche Gefährdungen bei der Arbeit bestehen.

Auch beim ersten Schritt der Grobanalyse, der Erfassung der Tätigkeiten, ist die Expertise der Beschäftigten entscheidend für das Gelingen der Gefährdungsbeurteilung und die Ableitung wirksamer Arbeitsschutzmaßnahmen. Tätigkeiten mit gleichartigen Arbeitsbedingungen können laut Arbeitsschutzgesetz "summarisch" beurteilt werden (vgl. ArbSchG, § 5, Abs. 2). Die Belastungsprofile können jedoch sehr unterschiedlich aussehen, wenn beispielsweise in der Sachbearbeitung ("summarisch": Bürotätigkeiten) unterschiedlich intensiver Kundenkontakt vorkommt (mögliche Fehlbeanspruchungen z. B. durch häufige Arbeitsunterbrechungen oder durch Konfliktsituationen). In solchen Fällen ist von unterschiedlichen Tätigkeiten auszugehen (etwa: Sachbearbeitung mit/ohne Kundenkontakt).

All dies macht deutlich, wie wichtig die Entscheidung der Steuerungsgruppe für ein bestimmtes Analyse-Verfahren ist. Oft wird man sich mit Blick auf den gesamten Prozess-Abschnitt an dieser Stelle bereits über (einen Teil des) Verfahren(s) bei der Feinanalyse entscheiden.

 

Aufgaben bei diesem Prozess-Schritt:

  • Übersicht über geeignete Verfahren verschaffen.
  • Evtl. ist dafür fachliche Qualifizierung und Beratung erforderlich. Unterstützung kann die zuständige Berufsgenossenschaft bzw. Unfallkasse bieten.
  • Für die Wahl des geeigneten Verfahrens braucht es ggf. außerdem interne Pre-Interviews, Sondierungsgespräche o. ä.
  • Möglicherweise müssen Analyseverfahren modifiziert werden (siehe unter „Vorsicht“)

Vorsicht!

  • Da das gewählte Verfahren/Instrument Einfluss auf die Art der Ergebnisse hat, sollte keinesfalls etwas passend Erscheinendes aus dem Internet oder von einer CD-Rom gezogen werden – die richtige Auswahl bedarf einer gewissen Fachkunde!
  • Die Verfahren sollten geschlechts- und alters-abhängige Unterschiede berücksichtigen (was sie oft leider völlig außer Acht lassen). Ggf. sind Anpassungen vorhandener Instrumente vorzunehmen.
  • Da die Feinanalyse das in der Grobanalyse Gefundene weiter analysiert, hat die Qualität der Grobanalyse einen direkten Einfluss auf die Ergebnisse der Feinanalyse. Insbesondere bei einem ersten Durchlauf/bei einer erstmaligen Gefährdungsbeurteilung psychisch wirkender Belastungen ist es dringend angeraten, dass tatsächlich alle (unterschiedlichen) Tätigkeiten erfasst sind und die damit verbundenen Gefährdungen.
  • Die Auswahl eines Analyse-Verfahrens geht zwangsläufig einher mit der Gestaltung des Analyse-Prozesses. Dazu gehört unbedingt auch die Gewährleistung der Anonymität! In den meisten Fällen kommen Befragungsinstrumente zum Einsatz: Die dort erfragten Ergebnisses dürfen nicht auf einzelne Personen zurückverfolgbar sein!
  • Es gehört nicht zu den Aufgaben der Steuerungsgruppe (oder des Betriebsrates) die Analyseverfahren selbst durchzuführen. Zumeist braucht es für deren Anwendung eine fachspezifische Ausbildung oder sehr weitgehende Vorkenntnisse.
    Etwas anderes ist es, wenn ein Betriebsrat ein Verfahren in kleinen Bereichen in eigener Anwendung ausprobiert, um fach- und sachgerecht entscheiden zu können, ob das Verfahren für die konkrete Situation im Betrieb geeignet ist.
  • Sofern die Steuerungsgruppe keine Budget-Kompetenz hat, muss eine schriftliche Einverständniserklärung inkl. Kostenübernahme des Arbeitgebers vorliegen, bevor die nächsten Schritte angegangen werden können.

 

Ergebnisse:

Eine Entscheidung bzgl. Vorgehen und Verfahren der Grobanalyse ist getroffen. Zustimmung und Kostenzusage des Arbeitgebers (oder im Konfliktfall: Spruch der Einigungsstelle) liegen vor.

 

Materialien zum Prozess-Schritt (Auswahl)

Kurzgefasste Materialien zur Auswahl geeigneter Analyseverfahren kann es schon deshalb nicht geben, weil die Vielzahl der betrieblichen Situationen sich nicht durch ein einziges Raster abbilden lässt. Genau hier erklärt sich, warum das Arbeitsschutzgesetz keine „Standard“-Gefährdungsbeurteilung vorschreibt, sondern die konkreten betrieblichen Arbeitstätigkeiten und deren Beurteilung zum Ausgangspunkt des Arbeitsschutzes macht.

Dem entsprechend z. T. umfangreiche Übersichten über verschiedene Verfahren sowie Hinweise auf Auswahlmöglichkeiten finden sich u. a. in:

Desweiteren auch zur Auswahl von Verfahren:

Siehe außerdem: „Arbeitsbedingungen beurteilen – geschlechtergerecht. Gender Meainstreaming in der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen.“ ver.di Genderpolitik

Besonders geeignete Screening-Verfahren:

  • ver.di-Wandzeitung zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Fehlbeanspruchungen: Je nach Art des Einsatzes handelt es sich um ein orientierendes oder Screening-Verfahren (siehe dazu die Einführung). Positiv hervorzuheben ist die leichte Einsetzbarkeit der Wandzeitung, in Großbetrieben ist sie jedoch eher nicht geeignet (dort lediglich bereichs- bwz. abteilungsweise). Die Vorteile für den Prozess in Betrieb und Dienststelle zeigen sich auch am Anwendungsbeispiel.
  • DGB-Index Gute Arbeit als Instrument der Beschäftigten-Befragung, mehr Infos zur betrieblichen Anwendung finden sich hier. Häufige Fragen zur betrieblichen Anwendung werden hier beantwortet. "Der DGB-Index Gute Arbeit als beteiligungsorientiertes Instrument im Prozess der Gefährdungsbeurteilung" (Ines Roth und Nadine Müller im Jahrbuch Gute Arbeit 2013) ist ein von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) anerkanntes arbeitswissenschaftlich gesichertes Verfahren (Müller/Roth, S. 133, vergleiche dazu ArbSchG § 4, 3). 2015 wurde es zudem vom Bundesinnenministerium als Instrument für die Gefährdungsbeurteilung empfohlen.
    Siehe zum DGB-Index im betrieblichen Einsatz auch die Gute-Arbeit-Betriebsbroschüre. Bei der Gestaltung einer betrieblichen Index-Befragung wird besonders darauf geachtet, dass die Ergebnisse nicht auf einzelne Personen zurückführbar sind.
    • Für die "Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung mit dem DGB-Index Gute Arbeit" gibt es eine Zusammenstellung der wichtigsten Fragen und Antworten (FAQ), kurz dazu hier.
    • Für den gesamten Prozess der vollständigen Gefährdungsbeurteilung mit dem DGB-Index Gute Arbeit gibt es ein veröffentlichtes Praxisbeispiel. Siehe dazu: "Gefährdungsbeurteilung als Baustein der Guten Arbeit" (Peter Kulemann im Jahrbuch Gute Arbeit 2015) sowie das Interview "Damit wir gesund bleiben" (Verena Blix in ver.di publik, Juni 2015). Dieses Beispiel wurde in die TOP 100-Best-Practise-Beispiele der INQA aufgenommen.
    • Siehe auch: Arbeitshilfe zur Gefährdungsbeurteilung (Erhebung psychischer Belastungen mit dem Befragungstool „PsyBel“).

 



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