13. Prozess-Schritt: Auswahl des Vorgehens und Verfahrens zur Feinanalyse
Ziel der Feinanalyse ist, die in der Grobanalyse erkannten Gefährdungen genauer zu analysieren, um zu klaren Vorgaben für die Entwicklung geeigneter Arbeitsschutz-Maßnahmen zu gelangen. Dieser Prozess-Schritt der Gefährdungsbeurteilung wird oft auch "Gefährdungsanalyse" genannt.
Die Feinanalyse hängt stark von der konkreten betrieblichen Situation ab, allgemein passende Verfahren gibt es nicht. Innerhalb des Prozesses besteht außerdem eine Abhängigkeit des Vorgehens in diesem Prozess-Schritt von dem vorangegangenen Vorgehen bei der Grobanalyse. Umso mehr muss sich die Steuerungsgruppe informieren und dann entscheiden, was für den eigenen Betrieb passt.
Bezüglich der Einteilung der Verfahren hinsichtlich ihrer Analysetiefe (orientierende, Screening- und sog. Experten-Verfahren) gilt dabei das bereits unter Prozess-Schritt 9 (Auswahl des Vorgehens und Verfahrens zur Grobanalyse) Vorgestellte. Allerdings kommen bei der Feinanalyse orientierende Verfahren nicht mehr in Betracht. Auf ihnen können Screening- und sog. Experten-Verfahren aufbauen: Damit sind alle Verfahrens-Arten miteinander kombinierbar. Was sinnvoll ist, hängt von der konkreten betrieblichen Situation ab, auch davon, welche Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber getroffen wurden.
Die Steuerungsgruppe kann in diesem Entscheidungsfindungs-Prozess Beschäftigte (aus den ggf. ausgewählten Pilotbereichen) als ExpertInnen hinzuziehen, um zu einem für den konkreten Betrieb passenden Verfahren zu gelangen. Außerdem gehören zu den geeigneten Verfahren auch die „klassischen“ Mess-Methoden des Arbeitsschutzes (hier beispielsweise Leitmerkmalmethoden zur Beurteilung von Gefährdungen bei Tätigkeiten mit Heben, Tragen, Ziehen, Schieben usw.); diese werden von der Fachkraft für Arbeitssicherheit eingesetzt.
Am häufigsten werden Screening-Verfahren zur Analyse herangezogen, in der Regel Fragebögen mit differenzierten Antwortmöglichkeiten. Welche Ergebnisse aus der Grobanalyse/der Befragung vorliegen, hängt von daher auch wesentlich davon ab, welche Fragen und Antwortmöglichkeiten bereits im Schritt der Grobanalyse gegeben wurden. Je genauer das Verfahren zur Grobanalyse war, umso einfacher und ergebnisreicher werden die nachfolgenden Feinanalysen sein.
Zur Feinanalyse, der Gefährdungsanalyse, gehören jedoch noch weitere Schritte: Je nach den Ergebnissen der Grobanalyse muss ggf. noch genauer herausgefunden werden, worin die offenkundig gewordenen Fehlbeanspruchungen genau bestehen. Außerdem ist in der Feinanalyse stets nach den genauen Ursachen für die vorgefundenen Fehlbeanspruchungen zu fahnden. Theorethisch ließe sich dies mit einer erneuten Befragung bewerkstelligen, in der Praxis haben sich Analyse-Workshops mit betroffenen Beschäftigten, je nach Situation mit oder ohne Führungskräfte, bewährt.
Aufgaben bei diesem Prozess-Schritt:
- Übersicht über geeignete Verfahren verschaffen.
- Evtl. ist dafür fachliche Qualifizierung und Beratung erforderlich. Unterstützung kann die zuständige Berufsgenossenschaft bzw. Unfallkasse bieten.
- Für die Wahl des geeigneten Verfahrens braucht es ggf. außerdem interne Pre-Interviews, Sondierungsgespräche o. ä.
- Möglicherweise müssen Analyseverfahren modifiziert werden (siehe unter „Vorsicht“)
Vorsicht!
- Da das gewählte Verfahren Einfluss auf die Art der Ergebnisse hat, sollte keinesfalls etwas passend Erscheinendes aus dem Internet oder von einer CD-Rom gezogen werden – die richtige Auswahl bedarf einer gewissen Fachkunde!
- Die Verfahren sollten geschlechts- und alters-abhängige Unterschiede berücksichtigen (was sie oft leider völlig außer Acht lassen). Ggf. sind Anpassungen vorhandener Instrumente vorzunehmen.
- Bei Analyse-Workshops (oder anderen Verfahren in Gruppen) ist im Vorfeld besonders darauf zu achten, welche Teilnehmenden zusammen kommen sollen. Sollen beispielsweise BR-Mitglieder teilnehmen oder die Fachkraft für Arbeitssicherheit? Sollen Workshops abteilungsbezogen stattfinden oder tätigkeitsbezogen und abteilungsübergreifend? Hier zeigt sich deutlich, dass es nicht ausreicht, ein geeignetes Instrument zu finden, sondern dass auch der Prozess der Anwendung aufgrund der betrieblichen Situation und der Ergebnisse aus der Grobanalyse gestaltet werden muss.
- Sind in der Grobanalyse Fehlbeanspruchungen aufgedeckt worden, die ihre Ursache in mangelhaftem Führungsverhalten haben (können), so ist bei den Entscheidungen für das Vorgehen bei der Feinanalyse besonders sensibel vorzugehen. Es erscheint wenig ratsam, in solchen Fällen Analyse-Workshops mit Beschäftigten und Führungskräften gemeinsam durchzuführen. "Sensibel" bedeutet jedoch auch, nicht als Ursachen per se die Führungskräfte auszumachen. Auch mit ihnen ist wertschätzend umzugehen. Gefährdungsbeurteilungen beziehen sich stets auf die Gestaltung der Arbeit: In solchen Fällen wäre beispielsweise zu fragen, welche Vorgaben die Führungskräfte haben, welche (zeitlichen) Ressourcen ihnen zur Verfügung stehen und auch, ob sie auf ihre Führungsaufgabe vorbereitet, dafür qualifiziert wurden. Die genannten Fragen machen zugleich deutlich, welche Arbeitsschutz-Maßnahmen in solchen Fällen geeignet sein könnten, beispielsweise Schulungen für Führungskräfte.
- Es gehört nicht zu den Aufgaben der Steuerungsgruppe (oder des Betriebsrates) die Analyseverfahren selbst durchzuführen. Zumeist braucht es für deren Anwendung eine fachspezifische Ausbildung oder sehr weitgehende Vorkenntnisse.
Etwas anderes ist es, wenn ein Betriebsrat ein Verfahren in kleinen Bereichen in eigener Anwendung ausprobiert, um fach- und sachgerecht entscheiden zu können, ob das Verfahren für die konkrete Situation im Betrieb geeignet ist. - Sofern die Steuerungsgruppe keine Budget-Kompetenz hat, muss eine schriftliche Einverständniserklärung inkl. Kostenübernahme des Arbeitgebers vorliegen, bevor die nächsten Schritte angegangen werden können.
Ergebnisse:
Eine Entscheidung bzgl. Vorgehen und Verfahren der Feinanalyse ist getroffen. Zustimmung und Kostenzusage des Arbeitgebers (oder im Konfliktfall: Spruch der Einigungsstelle) liegen vor.
Materialien zum Prozess-Schritt (Auswahl)
Siehe hierzu die in Prozess-Schritt 9 (Auswahl des Vorgehens und Verfahrens zur Grobanalyse) genannten Materialien. Insbesondere das dort zugänglich gemachte Praxisbeispiel der betrieblichen Anwendung des DGB-Index Gute Arbeit als Verfahren für eine vollständige Gefährdungsbeurteilung gibt leicht nachvollziehbare Anregungen, wie man im eigenen Betrieb/in der eigenen Dienststelle vorgehen kann und wo Erfolgsfaktoren liegen.