ver.di-Online-Handlungshilfe
zur Gefährdungsbeurteilung

1. Prozess-Schritt: Strategie-Entwicklung des Betriebsrates

Gerade der Arbeitsschutz mit seinem zentralen Instrument Gefährdungsbeurteilung ist ein Bereich, von dem die Interessenvertretungen aufgrund der (auch fachlichen) Komplexität häufig überfordert sind. Insbesondere trifft dies zu, wenn Aufgabenfülle und Zeitmangel durch das „Tagesgeschäft“, wie z. B. personelle Angelegenheiten, bestehen.

Die Interessenvertretungen haben jedoch eine wichtige Überwachungsfunktion im Bereich des Arbeitsschutzes, auch bezüglich der Arbeitgeberverpflichtung zur korrekten Durchführung der Gefährdungsbeurteilung. Außerdem können die Interessenvertretungen über die Überwachung hinaus viel dafür tun, dass eine vollständige Gefährdungsbeurteilung in Betrieb und Dienststelle erfolgt und aus deren Ergebnissen wirksame Arbeitsschutz-Maßnahmen abgeleitet werden.

Um dabei nicht die Grenzen der eigenen Arbeitskapazität zu sprengen, empfiehlt sich die Entwicklung einer Strategie des eigenen Vorgehens. Diese setzt immer auf der konkreten Situation im jeweiligen Betrieb /in der jeweiligen Dienststelle auf. Und geht stets mit Entscheidungen einher: Prioritätensetzungen sind zugleich eine Auswahl aus möglichen Aktivitäten. Einiges wird man also nicht oder erst in einem späteren Schritt angehen – doch nur so lässt sich realistisch mit den eigenen Ressourcen umgehen.

 

Für die Schritte der Strategie-Entwicklung eignen sich die folgenden Leitfragen:

  1. Absicht klären: Was wollen wir?
  2. Bestandsaufnahme: Wo stehen wir?
  3. Ziel definieren: Wo genau wollen wir hin?
  4. Soll-Ist-Vergleich: Was ist konkret zu tun?
  5. Zeit- und Aufgabenplanung, auch Teilziele: Welche Schritte gehen wir?
    5.1. Mittel zur Ziel-Erreichung: Was brauchen wir?
    5.2. Engpässe, Hindernisse, Widerstände: Welche Gegen-Aktivitäten erwarten wir und was wollen wir dagegen tun?
    5.3. Wegmarken zur Prüfung: Sind wir auf dem richtigen Weg?
    5.4. Aufgabenverteilung: Wer macht wann was?

 

Konkretisierte Einzelfragen für die Entwicklung einer BR-Strategie zur Gefährdungsbeurteilung (Auswahl):

Bezogen auf die Frage zur Bestandsaufnahme (2.):

  • Wie sieht die vorhandene Arbeitsschutzorganisation aus?
    Dazu gehört auch:
    • Was liegt uns an Unterlagen, Informationen vom Arbeitgeber, von der Fachkraft für Arbeitssicherheit, von Betriebsarzt/-ärztin etc. vor?
    • Gab es Gefährdungsanzeigen von Beschäftigten, mit welchen Hinweisen?
    • Gibt es weitere für uns nützliche Informationen wie z. B. die Erfassung von Überstunden oder Fehlzeiten oder Informationen aus dem Betrieblichen Vorschlagswesen?
  • Was ist bisher zur Gefährdungsbeurteilung passiert? Ist sie vollständig?
    Insbesondere:
  • Wurden auch psychisch wirkende Belastungen erfasst? Wurde eine Gefährdungsbeurteilung für alle Bereiche, alle Tätigkeiten erstellt?

    Außerdem ist zu fragen:
  • Wie waren unsere bisherigen Aktivitäten als Betriebsrat?
  • Gibt es bereits Betriebsvereinbarungen zu Arbeits- und Gesundheitsschutz? Diese könnten z. B. die Unterweisungen betreffen oder das Betriebliche Eingliederungsmanagement.
  • Wie war/ist die Einbindung von Beschäftigten, Vertrauensleuten und der Schwerbehindertenvertretung?
  • Wie war/ist die Zusammenarbeit mit anderen Arbeitsschutz-Akteuren, beispielsweise im Arbeitssicherheitsausschuss (ASA)?

Bezogen auf die Frage zu den Mitteln zur Ziel-Erreichung (5.1):

  • Haben wir die nötigen/erforderlichen Qualifikationen in ausreichender Form/Menge? Zu denken ist insbesondere an Qualifikationen aus den Bereichen: (Arbeits-)Recht, Arbeitsschutz, Kommunikation, Prozess-/Projektmanagement.
  • Welche Verbündeten bzw. Kompetenzpartner haben wir? (Gewerkschaft, andere Interessenvertretungen, BG/Unfallkasse etc.)
  • Brauchen wir externe Sachverständige? Beispielsweise eine/n fachkundige/n externe/n ModeratorIn für die Klausur(en) für unsere Strategieentwicklung? (BetrVG 80, 3; auch 37,6)
  • Was fehlt uns an Informationen/was haben wir an Informationen? Insbesondere ist dabei zu denken an:
    • Brauchen wir betriebliche Auskunftspersonen (BetrVG 80, 2), z. B. um über die Belastungssituation in bestimmten Arbeitsbereichen besser Bescheid zu wissen?
    • Machen Sondierungsgespräche in den Abteilungen Sinn, um besser Bescheid zu wissen?
    • Möchten wir die ver.di-Wandzeitung zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Fehlbeanspruchungen einsetzen? ver.di-Wandzeitung zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Fehlbeanspruchungen
    • Wollen wir, sofern noch nicht erfolgt, Gefährdungsanzeigen der Beschäftigten anregen?

 

Ergebnisse (des Prozess-Schritts):

  • Entscheidung des BR über das weitere Vorgehen inklusive der Beteiligung der Beschäftigten und weiterer Akteure wie u. a. der Vertrauensleute
  • „Marschrichtung“ des BR bzgl. der Gefährdungsbeurteilung in Schritten: Arbeitsplanung und Aufgabenverteilung des BR
  • Klarheit über ggf. noch fehlende Qualifizierung(en), Informationen und Kooperationen
  • Je nach Art der Zusammenarbeit: Information an den Arbeitgeber

Dieses Tun (oder auch Nicht-Tun) ist zu dokumentieren, da bereits dies Teil des Arbeitsschutz-Prozesses Gefährdungsbeurteilung ist (Dokumentation).

 

Der idealtypische Prozesskreis der beteiligungsorientierten Gefährdungsbeurteilung geht davon aus, dass sich die Interessenvertretung im Rahmen der Strategie-Entwicklung dafür entscheidet, eine vollständige Gefährdungsbeurteilung anzustoßen und diesen Prozess zu begleiten.



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